Donnerstag, 16. Juni 2022 (Wolfgang Herkert)
Unter dem Vogelgezwitscher des anbrechenden Tages verabschiedete ein im Morgengrauen des Fronleichnamstags verblassender Vollmond am Dallenberg die 43-köpfige erwartungsfrohe Exkursionsgruppe der Weinbruderschaft Franken ins Burgund. Nach dem allgemeinen Wiedersehensgeschnatter hatte man sich rasch dem wiederkehrenden Schlafbedürfnis und der sicheren Obhut unserer bewährten Omnibusfamilie Zehnter hingegeben, so dass durch das schöne Jagsttal allenfalls traumselige Schlafgeräusche dominierten.
Im malerischen Willstätt sorgte die freundliche Renate Korbmann im Mühlen-Café, einer Inklusionseinrichtung der Diakonie Kork, durch Ausgleich unseres inzwischen erheblichen Koffein- und Kalorien-Defizits für ein angenehmes Erwachen. So konnten wir wach und gestärkt ins Elsass eintauchen. Unterwegs gab es spannende und unterhaltsame Informationen über Kultur, Weingeschichte und geologische Besonderheiten unserer Zielregion Burgund durch unseren „GEO“-Experten Heiko Peath, der, wie sich noch zeigte, ein multilingualer Frankreich-Kenner ist. Er informierte uns über die Entstehung des Oberrheingrabens, bis wir zum Weingut Cave du Roi Dagobert in Traenheim/Alsace kamen. Es ist benannt nach König Dagobert II. aus dem Merowinger Geschlecht.
Nach kurzer Weinbergbegehung tauchte die Gruppe unter der Kellerführung durch den gewitzten Winzer Andreas Bastian ein in den Vinogigantismus einer Genossenschaft von 250 Winzern mit einer Anbaufläche von 950 ha. Beim Defilée an 12 Millionen gelagerten Flaschen, einer 4.0-Weinfabrikationsanlage und der Kolonnade der über 500 hl fassenden Edelstahltanks vorbei, schwand bei so manchem Exkursionsteilnehmer die romantische Liebesbeziehung zum Weinbau, zumal alle Prozesse der Willkürvorgabe „Colmars“ zu unterliegen schienen. Dort ist der Sitz der Weinbauverwaltung des Elsass angesiedelt.
Die ausgiebige anschließende Weinprobe war allerdings exzellent und nach Beladung der ersten Einkaufscharge beste Grundlage für den anstehenden Mittagschlaf auf der Weiterreise. Wenngleich dieser gelegentlich durch die hochinteressante geologische Heiko`sche Vorlesung mit Zusammenhangserklärungen zu unseren Weinbauvoraussetzungen unterbrochen wurde, obsiegte schließlich doch saturierte Stille auf der A 36, vorbei an Colmar, der Haut-Koenigsbourg und der schönen Vogesenlandschaft, bis am Cafe Roberta bei Besancon nach mühsamem Augenöffnen wieder in den wunderschönen Reisetag geblinzelt werden konnte.
Frisch mit Kaffee betankt, war das letzte Stück nach Macon kein Problem mehr. Ein letzter Tageshöhepunkt war nach dem Zimmerbezug im Hotel de Bourgogne das gute Abendessen mit leckeren Weinen bei „Alphonse“ im Restaurant „Le Lamartine“ am Ufer der Saone. Es ist nach dem Französischen Politiker und Schriftsteller des 19. Jh., Alphonse de Lamartine, benannt, der, passend zu unserer Exkursion, hier zitiert sei: „Die Welt ist ein Buch und jeder Schritt auf ihr öffnet uns eine neue Seite. Wer aber nur eine gelesen hat, was weiß der?“
Freitag, 17. Juni (Bernd Amling)
Nach dem luftigen Absacker am Abend zuvor auf der zufällig entdeckten Dachterrasse gegenüber unserem Innenstadthotel konnten einige Weinbrüder dann trotz Kampf mit der unausschaltbaren Klimaanlage erträglich schlafen. Für französische Verhältnisse konnte dann üppig gefrühstückt werden und schon ging es rein in den Bus zum ersten Ziel, der Abtei von Cluny.
Der WeinKultur haben wir uns ja per Satzung verpflichtet. Beides zu trennen, fällt gerade im Burgund schwer. Die Abtei von Cluny, wenige Kilometer westlich von Macon, war unser vormittägliches Ziel. Ab dem Jahr 910 war hier der Ursprung einer benediktinischen Reformbewegung, die das Mittelalter wohl mehr prägte, als die meisten Herrscherfamilien auf den Thronen Europas; zeitweise lebten 1400 Klöster nach den von hier aus entstandenen Regeln!
Die Vergänglichkeit solcher Macht (bzw. die Überwindung männerbündlerischen Machtmissbrauchs, aber das ist ein anderes Thema) lässt sich wohl kaum anschaulicher besichtigen, als im Trümmerfeld der ehemals 187 m langen Abteikirche, über deren Säulenstümpfe und Mauerfundamente heute ganz lakonisch eine Dorfstraße führt! Man ahnt zwar die Fronarbeit, die die Errichtung dieser – bis zum Bau des Petersdoms in Rom – größten Kirche der Christenheit erfordert hat. Aber was wollte man sonst schon an üblichen Kulturreisezielen besichtigen, außer Weingütern? Und auch die gäbe es in Europa ohne die Klöster so nicht…
Im dem zeitgeistentsprechend als „…au feminin“ beworbenen Mutter/Tochter-Betrieb Weingut Nadine Ferrand in Pouilly-Fuisse führte uns die Tochter erstaunlich leger durch ihre blitzsauberen Kellerräume und die schicke Probierstube, jenseits von „Eiche rustikal“. Finanziert wird das natürlich wie überall von den Kunden, die im Burgund Preise bezahlen, die da anfangen, wo sie in Franken bei den allermeisten Winzern aufhören. Ausschließlich burgundtypische Chardonnaytrauben auf 10 ha, sauber ausgebaut und auch als frischer Cremant ein feiner Begleiter für die in einer Welle nach der anderen auf Schiefertafeln herbeigetragenen delikaten Häppchen. Spätestens nach dem süßen Finale (ich fotografier ja sonst kein Essen, aber hier...) gab es rundum zufriedene Gesichter, reichlich gezückte Kreditkarten und reihenweise Weinkartons, die bei 35°C Mittagshitze auf einem Wägele über den Hof zum Bus gekarrt wurden.
Zwar war die Hitze nicht so schwül, wie oft bei uns im Maintal, aber trotzdem war der Zeitpunkt für die anschließende Erklimmung des Roche de Solutre bei Pouilly -Fuisse ambitioniert. Aber nach der alleroberfachkundigsten Einweisung durch unseren frankophilen Klimato/Geo/logen/graphen Heiko Paeth in die Eigenheiten dieses keilförmig aus den umgebenden Weinhügeln herausragenden Überbleibsels zwischen Vulkanismus im Westen und der Alpenauffaltung im Osten, war der Anteil der Vernünftigen, die unten im Bistro auf uns andere warteten, erstaunlich gering! Das Gipfelfoto mit den Helden dokumentiert das sehr anschaulich und muss in die Zeitung.
Hocherhitzt und auch verschwitzt war dann wieder mal Zeit für „äweng Durschd“ (pardon: Weinkultur). Schon von weitem auf einem der vielen Hügel zu sehen, erwartete uns das Chateau Pierreclos , ein seit Merowingerzeiten befestigtes und seither über alle Baustile hinweg weitergewachsenes, sehr rustikales „Prachtschlössle“ mit seinem gänzlich unadligen aber zurecht stolzen WinzerBesitzer, der uns nach der Führung durch Küche und Kammern mit 5 (oder waren´s 6?) blitzsauberen, biologisch angebauten Maconnais Weinen im herrlich kühlen Gewölbekeller verwöhnte. Sogar Pfirsich- und Cassislikör waren hier unten gut trinkbar (erneut ca 300 Kg Zuladung mehr im Gepäckraum nach Verlassen der Verkaufsräume, so langsam ziehen sich die Augenbrauen unseres - über die ganze Fahrt sehr souveränen - Busfahrers in die Höhe…)
Souveräne Busfahrerei über das wirklich enge Paßsträßchen des Col des Enceints nach Bourgvilain zum Abendessen in der Auberge Larochette. Zu den „Fermes Auberges“ zählend wird hier verpflichtend ein angeblich 85% Anteil an heimisch-regionalen Produkten gefordert - Lachshäppchen vorweg und die Mangosauce zum Dessert seien großzügig verziehen: sehr gut war‘s- und der Charolaisbraten war vorzüglich!
Ruhige, schon der Verdauung gewidmete Heimfahrt nach Macon und erneuter Ausklang des prall gefüllten Tages auf der gegenüberliegenden Dachterrasse…
Samstag, 18. Juni (Birgit Röschert)
Am Samstag starteten wir - die Gruppe ist enorm diszipliniert - pünktlich um 9:02 in Macon.
Die Diskrepanz zwischen 36 Grad Außen- und Kellertemperatur macht die Kleidungswahl für Herren wie Damen gleichermaßen herausfordernd: Der Trend geht offensichtlich zu nackten Waden.
An unserer ersten Station Beaune lernen wir bei der Führung durch das pittoreske Städtchen die „Hospices de Beaune“, UNESCO Weltkulturerbe, kennen.
Dieses wurde im 15. Jh. von Nicolas Rolin, Kanzler des Herzogs von Burgund und einer der reichsten und mächtigsten Männer seiner Zeit, gegründet, um durch die gottgefällige Tat seinen Platz im Jenseits zu sichern. Uns Weinfreund:innen interessiert nicht nur, dass die Stiftung durch Schenkungen und Erbschaften bereits im 16. Jahrhundert 60ha Wein besaß (deren Ertrag das Spital finanzierte), sondern auch, dass den Kranken nach Auskunft unserer Führerin v.a. die tägliche Karaffe Wein das Leben gerettet habe.
Uns “rettet” heute ein Picknick, denn für einen Restaurantbesuch ist die Zeit zu kurz. Die auf dem Markt erstandenen Köstlichkeiten der Region munden vorzüglich in idyllischer Lage auf den „Les Remparts“, dem Befestigungswall der Stadt.
Eine ganz außergewöhnliche Weinerfahrung erwartet uns nach der Weiterreise ins Jura im Weingut Rolat, wo uns die 32-jährige Kellermeisterin Chloé bei einer Kellerführung sowie anschließender Verkostung die önologischen Besonderheiten des Jura, allen voran den Vin jaune näherbringt: ein Wein, der mindestens sechs Jahre und drei Monate im Fass und nach der Abfüllung ein weiteres Jahr in der Flasche ruhen muss.
Der intensive Geschmack….. stieß auf geteilte Resonanz - einig waren sich jedoch alle: eine höchst spannende Erfahrung!
Einen gelungenen Abschluss bildet das fantastische 5-Gänge-Menü im Restaurant Grapiot in Pupillin, das von Weinen der typischen Rebsorten der Region, insbesondere dem Savignan, dem Poulsard sowie der Pinot Noir begleitet wurde. Während jedoch auch hier einige mit dem Wein hadern, ist das Essen unbestrittener Höhepunkt unserer Reise und wird mit standing ovations für das Team honoriert.
Sonntag, 19. Juni (Birgit Röschert)
Der vierte Tag unserer Weinreise beginnt sehr entspannt, da wir - um die gesetzlich geforderten Ruhezeiten unseres bewährten Busfahrers, Wolfgang Zehnder einzuhalten - erst um 9:45 Uhr starten. Diese Ruhezeiten hat er sich wahrlich verdient, denn in den vorangegangenen Tagen hat er manche schmale, passartige Straße und Einparkmanöver bravourös und mit stoischer Ruhe bewältigt.
Auf der langen Rückfahrt haben wir nun die Gelegenheit, die Erlebnisse der letzten Tage Revue passieren zu lassen, die verkosteten Weine zu diskutieren und im klimatisierten Reisebus die herrliche französische Landschaft zu genießen.
Auf halber Strecke hat unser Reiseleitungsteam eine Pause im Ecomusée d’Alsace eingeplant, auf das uns Heiko Paeth wie gewohnt mit einigen Informationen einstimmt. Das Freilandmuseum zeigt in über 70 Fachwerkhäusern aus der Region das alltägliche Leben im Elsass zwischen dem 19. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wunderschön angelegt, mit Brunnen, Gärten, schattenspendenden Bäumen und umgeben von Seen ist es ein idealer Ort für eine längere Mittagspause, die jede:r nach eigener Façon mit Besichtigungen, Imbiss an lauschigen Plätzen oder einem Restaurantbesuch verbringen kann. Dank der Hitze haben wir das Gelände zudem fast für uns alleine. Gleichwohl sind wir doch alle recht froh, um 14:30 Uhr wieder die Kühle des Busses zu genießen und weiter Richtung Heimat zu fahren.
Das (wegen Corona) lange Warten auf die bereits für 2020 geplante Weinreise hat sich gelohnt! Die regelmäßigen wunderbaren Kurzvorträge durch Heiko Paeth zu Geschichte, Geografie, Geologie und Wein der Region machten sie zu einer echten Bildungsreise. (Wenn manch eine:r einzelne Parts verschlafen haben sollte, lag das keinesfalls am kenntnisreichen und unterhaltsamen Dozenten, sondern allenfalls daran, dass die Hitze in Verbindung mit den Verkostungen ihren Tribut forderte!).
Auch die Verkostungen waren nicht zuletzt durch die kundigen Fragen und Anmerkungen insbesondere von Bruderschaftsmeister Peter Schwappach sowie Dr. Gabriele Brendel sehr lehrreich. Einer besonderen Erwähnung und Dank verdient an dieser Stelle noch einmal Heiko Paeth für seine Übersetzungsleistung, womit er buchstäblich dazu beitrug, dass wir diese herrliche Region und ihre Weine besser verstehen lernten.
Ich wage die Prognose: das wird nicht unsere letzte Exkursion in unser Nachbarland Frankreich!
Bild: Birgit Röschert Text: Dr. Wolfgang Herkert, Dr. Bernd Amling, Birgit Röschert